Ich glaube nicht, dass die Leute zu faul sind. Aber sie müssen das Gefühl haben, dass ihre Stimme zählt. Und auch wenn es wehtut, dass sagen zu müssen: bei einem Kreuz bei der AfD ist das der Fall. Und so paradox das klingen mag, die Berichterstattung darüber (auch über die Proteste jetzt), erzeugt erst recht ein Zugehörigkeitsgefühl gegen das Establishment. Es macht eben keinen Unterschied, ob ich die Tierschutzpartei oder die Humanisten wähle, oder meinen Stimmzettel gleich in den Papierkorb werfe. Wenn ich mit den etablierten Parteien unzufrieden bin, bleibe ich am Wahltag zu Hause oder wähle etwas „von außen“, das aus diversen Gründen einen Impact hat. Und das hat die AfD.
Geschafft hat sie das mit miesen Methoden (Social Media mal als ein Schlagwort) und ohne jeglichen moralischen Kompass. Aber solange diese Wähler kein Problem damit haben, dass man wieder von Deporationen sprechen kann, 85 Jahre nachdem Grundschüler, noch mit ihrem Zeugnis in der Hand, in einem Zug in ein Vernichtungslager gefahren wurden, liegt mehr im Argen, als ein politisches Taktieren zu lösen vermag, wie man rechte Wähler denn bitte schön wieder auf den richtigen Pfad zurückführen kann.
Ohne Moral ist die Demokratie wertlos. Und ich glaube, dass man vielen Menschen einfach viel konkreter vor Augen führen muss, was bestimmte politische Entscheidungen für Konsequenzen haben. Wenn jemand nach geschlossenen Grenzen ruft, zeigt ihm das Bild von Alan Shenu. Noch ist kaum jemand emotional so abgestumpft, dass ihn so etwas nicht berührt. Denn gerade an diesem Punkt, setzen Demagogen wie AfD, FPÖ, Trump & Co. ja an: Emotionen. Und in einer vernetzten Welt, in der Großkonzerne statt Staaten das Sagen haben, haben sie die perfekten Werkzeuge dafür. Angst und Hass sind heute so extrem leicht zu verstärken und zu verbreiten, dass ich nach wie vor fassungslos bin, wie sehr die Gesetzgeber immer noch zuschauen.
Und neben der fehlenden Moral und dem Manipulieren von Menschen über Emotionen gibt es noch einen wichtigen dritten Punkte, der vielen besonders schwer fallen dürfte: nehmt die Menschen ernst. Ja, manche sind so weit abgedriftet, denen gehört auf die Fresse gehauen. Manche sind so weit ins Irre gerutscht, dass es da professionelle Hilfe braucht, wieder rauszukommen. Aber viele Menschen haben berechtigte Sorgen und Nöte und es ist einfach fucking NIEMAND da, der sich derer annimmt, sondern höchstens mal im Wahlkampf kurz für ein Foto vorbeischaut. Wenn sich niemand von links traut öffentlich zu sagen, dass es eklatante Probleme in bestimmten Communites und in Bereichen der Einwandung aus musmlimisch geprägten Ländern gibt (Frauenrechte, Antisemitismus, Säkularisierung etc. pp.), dann sorry, fehlt mir irgendwann auch das Verständnis für das ewige Gejammer, dass die Menschenhasser von rechts so viele Stimmen bekommen.
Ich meine, das ist ein ultra komplexes Thema und ich konnte jetzt einige Punkte nur anreißen. Aber ich würde mir einfach wünschen, dass es da eine Partei oder vielmehr ein System gäbe, wo nicht alles vom Buisiness-as-usual und Kompromiss-um-Kompromiss-um-Kompromiss zerrieben wird. Denn wenn es die AfD nicht mehr gibt, kommt die nächste Partei. Und danach die nächste. Und die nächste. Solange nicht mal daran gedacht werden darf, grundsätzlich etwas an unserem Wahl-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystem so zu ändern, dass allen Menschen auf diesem Planeten geholfen ist (außer den Milliardären, sorry), wird sich auch nichts ändern. So bleibt dann leider eben immer nur wieder das viel beschworene, kleinere Übel. Eine Verschwendung von Zeit und Leben. Sehr schade.