Umzugsgeschichten, schön, ich schließe mIch an mit meinem UMZUG DES GRAUENS ™
Zog als Kind sehr häufig um, dann als Student auch ein paar Mal, hatte vielen Freunden Schleppen geholfen, also bestimmt im Leben an die 30 Umzüge mitgemacht. Alles easy also, als ein besserer Bekannter (nicht ganz so enger Freund) 2019 um Hilfe bat. Sollte aus seiner Ein-Zimmer-Wohnung in eine 1, 5-Zimmer ziehen, weil Vermieter Eigenbedarf etc pp. Kein Ding, bei so einer kleinen Fläche, das passt alles in einen größeren Sprinter oder maximal 2 Ladungen, dann gehen wir alle schön was trinken und ich schaffe es spätabends easy zum Flughafen für meinen kleinen Ciao-Ragazzi-Urlaub auf Sicilia. Also um 10 Uhr auf der Matte und die ersten Bekannten/Freunde puzzeln den Lieferwagen voll, soweit kein Problem. In der Wohnung läuft der Umziehende noch herum und packt Kisten. „Ich musste nur erstmal hier Platz schaffen, damit ich ein paar letzte Sachen verpacken kann, aber ich bin bald fertig.“ Na gut, denke ich, hätte man besser planen können, aber mich schreckt nichts. Zwei Stunden lang packt er weiter. Was packt er denn, denke ich mir, was dauert das denn so lange? Und wieso sind diese Kisten so elend, verdammt, schlimm schwer?! Achso. Er arbeitet bei einem Verlag. Der produziert Fotobände. Viele Fotobände. Mit vielen Seiten. Mit vielen, dicken, schweren Seiten, Regalmeter um Regalmeter, hochgestapelt bis an die Decke, üppige, aufgequollene Bildbände in Großformaten mit barocken, wuchtigen Einbänden! Eine ganze Bibliothek voll davon! Wie hat der Typ die denn in diese Wohnung gepackt?? „Ja, spannend, nicht? Normale Regale können so ein Gewicht nicht tragen, deshalb hab ich mir selbst welche gebaut aus diesen schönen, schweren Holzbrettern. Echte Wertarbeit. Kannst du kurz beim Abbau davon helfen?“ Mir gehen die Augen über, aber jetzt stecke ich hier fest. Na gut. Es wird 14 Uhr, eine Wagenladung ist weg. Das Zeug wird irgendwie nicht weniger. Als der Sprinter zurückkommt meinen zwei Helfer, sie müssten gehen. Ja, ist okay. Wie viele sind wir denn dann noch? Vier. Oh-oh. „Hm, schade, und ihr könnt nicht länger bleiben? Verstehe. Hey, kannst du kurz hochkommem, jetzt kommt das Cembalo dran.“ Was? Ja. Ein Cembalo. Ein wuchtiges, kostbares Kleinod aus Holz und Metall, das bitte ja sanft behandelt werde soll, obwohl mir der Schweiß die Hände glitschig macht. Ich sehne mich innerlich nach der Waschmaschine. Es wird spät und später. Die Moral ist mies. Wir teilen die Gruppe auf. Ein Kumpel und ich fahren rüber, um die Bildbände in die neue Wohnung zu hieven. Schweigend malochen wir. Bleierne Stille legt sich auf alles, die Milchsäure in Waden und Armen knistert. Mittlerweile 19 Uhr. Die übrige Freundin hat sich davongestohlen. Der Umziehende kramt alleine in der Wohnung herum. Nur noch der beste Kumpel und ich sind übrig. Ich weiß aber nicht, ob es nach diesem Tag noch der beste Kumpel bleibt. Niemand sagt etwas. In Ergebenheit vor dem Schicksal trotten wir herum, zu müde für alles. Man hört nur nich passiv aggressives Grunzen. Oh Gott, mein Flieger. Ich muss los. Ich schaue dem (ehemals) besten Kumpel des Umzüglers in die Augen, sein Blick sagt: geh nicht. Bitte. Aber ich muss. „Ja, hey, vielen Dank dir. War schon etwas schwieriger als gedacht. Den Rest kriegen X und ich schon noch hin“. Ein gequältes Lächeln entsteigt. Ich weiß nicht ob Kumpel X da noch ansprechbar ist. Um 20 Uhr sprinte ich zum Zug Richtung Flughafen. Ich bin frei. Gute Männer sind heute draufgegangen. Aber ich lebe. Nachts verfolgt mich der flehende Blick von X im Traum. Immerhin hab ich ein paar Bildbände als Dankeschön bekommen. Und eine schwäbische Vintage-Kommode aus den 50ern.