Sable: Essay (ohne Spoiler)

Ich hatte Sable schon vor Monaten gekauft, aber nie ausprobiert. Mich haben die kurzen Videosequenzen im Trailer angesprochen, in denen Sable, auch der Name der Protagonistin, auf einem über dem Boden schwebenden Hoverbike durch die Wüste gleitet und dabei eine Spur von Sandwolken hinter sich herzieht. Sable sieht aus wie von Jean Giraud, Mœbius oder Moebius, gezeichnet. Das ist nicht meine Deutung oder Zuschreibung, Sable sieht unverwechselbar aus wie von Moebius gestaltet. Allerdings mag ich Bilder von Moebius eigentlich nicht. Sie schauen überfüllt aus, es werden viel zu viele Linien und Punkte arrangiert, ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll vor lauter kleinen Flecken. Außerdem sehen die Kostüme der Figuren so lächerlich aus. Auch sie sind überladen, haben zu viele Farben, Rüschen, Federn und Verzierungen; wer so etwas trägt, macht sich lächerlich, es sind Clownsanzüge. Mehr Erwartungen als durch die Wüste zu gleiten und dabei Wolken aus Sand hinter mir herzuziehen hatte ich nicht. Ich wusste nicht genau, worum es geht, es war mir egal.

In der Wüste von Sable befinden sich Dünen, Felsen und Raumschiffwracks, verstreute Siedlungen, eine Stadt, einige points of interest. Aber die Landschaft ist größtenteils leer. Die Farbpalette ist gedämpft und reduziert, manchmal sind alle Oberflächen grau oder braun oder blassgelb. Wenn ich durch die Wüste gleite, passiert kaum mehr als das ereignislose Gleiten durch die Wüste, aber ich mag das alles sehr. Die Langweile und die Ereignislosigkeit sind angenehm. Ich verwende die Fast-Travel-Funktion nicht und fliege über Wüstendünen, hinter mir die Sandwolken. Ich beobachte den Wind, bleibe vor Raumschiffwracks stehen und klettere auf Felsen.

Anstatt mich vor der Gegenwart zu fürchten oder Wikipediaartikel zu schreiben, freue ich mich darüber, keine Ahnung, in Sable irgendwelchen Käfern nachzugehen oder zu dem fernen Berg am Horizon zu gleiten. Dort klettere ich hinauf und suche dann oben nach dem Punkt in der Ebene, von dem aus ich den Berg am Horizont gesehen hatte. Was ist in dieser Welt eigentlich passiert? Ich durchquere eine fremde Welt, in der sich eigenartiges Leben nach einer unbekannten Katastrophe ausgebreitet hat. Die Ruinen sind Behausung und Zeugnis für etwas, das ich nicht verstehe.

Es gibt auch Quests und eine Handlung, eine Coming-Of-Age-Geschichte, die mich aber nicht interessiert.

Der Mensch ist das handelnde Wesen. Er ist in einem noch näher zu bestimmenden Sinne nicht „festgestellt“, d.h. er ist sich selbst noch Aufgabe – er ist, kann man auch sagen: das stellungnehmende Wesen. Die Akte seines Stellungnehmens nach außen nennen wir Handlungen, und gerade insofern er sich selbst noch Aufgabe ist, nimmt er auch zu sich selbst Stellung und „macht sich zu etwas“,

schreibt Arnold Gehlen in Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt, Berlin 1940, politisch problematisch oder nicht? Anstatt sich aber Gehlen folgend als das nicht-festgestellte, stellungnehmende Wesen, das handelt, weil es handeln muss, zu verstehen, kann – oder: muss – Sable, kann oder muss ich, irgendwelche Badges sammeln, damit ich Masken bekomme, die ich mir aufsetze, um sagen zu können: C’est moi. Obwohl die Masken in Sable für mich etwas Rätselhaftes sind, interessieren sie mich nicht besonders. Alle Figuren tragen eine Maske, die Maske, „kann man auch sagen“, ist das Gesicht, sie ersetzt es. Ich weiß nicht, welches Gesicht ich unter meiner Maske trage. Gibt es überhaupt eines?

Für genug Badges bekomme ich bei der oder dem Mask Caster eine Maske, wobei ich nicht genau verstehe, wer oder was die oder der Mask Caster ist: eine Figur, wie alle mit Maske, die in einem eigenen Zelt hockt, meditiert, auf Gliders mit Badges wartet, the atmosphere in the tent is intense, uncomfortable, und deren Maske sich öffnet, wenn man ihr genug Badges zeigt. I can’t tell if the Mask Caster is human or… something else . Aber ist eine Erklärung des oder der Mask Casters so wichtig? Ich zeige meine Badges, die Maske der oder des Mask Casters öffnet sich und offenbart darunter ein Nicht-Gesicht, in das ich mit dem ganzen Arm hineingreife. Wenn ich den Arm wieder zurückziehe, befindet sich in meinem Inventar eine neue Maske.

Das Spielprinzip ist klar, ich erhalte Schrottsammler-Badges für erfüllte Schrottsammler-Quests usw. Ich verstehe das als die Geschichte von Sable. Ob diese Geschichte spannender ist als die Sandwolken in den Dünen, die gar nichts erzählen? Ich würde gern eine Wüstenmaske tragen, die aus Sand besteht.

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Ich kann mich mit dem Stil anfreunden; ich freue mich beim Starten darauf, wieder durch die Wüste zu gleiten; aber ich mag die Bilder von Moebius wirklich nicht und bin auch kein Fan dieser Fantasy-Science-Fiction, und trotzdem bin ich neugierig, ob die Comics so aussehen, wie ich sie in Erinnerung habe. Ein typischer Moebius-Comic: Ein Schamane im Clownsanzuge fliegt auf einem Weltraumdrachen zu einem Planeten auf dem nackte Frauen mit großen Brüsten leben, und dort wird er umgebracht, weil eine sexy Amazone sein Schamanenblut trinken will, um die nächste Bewusstseinsstufe zu erreichen, aber dann stellt sich heraus, dass der Schamane im Körper der Amazone neu geboren wird, da sein Schamenenblut metaphysische Eigenschaften aufweist, oder so etwas. Es ist absurd. Ich lese die Arzach-Comics im zweiten Band der Fantasie Comics zu Moebius, oder gehe die Bilder durch, und mich lässt die Geschichte kalt. Ich verstehe sie auch nicht. Es geht um einen Schamanen im Clownsanzug, der über einen Wüstenplaneten fliegt, aber nicht auf einem Weltraumdrachen, sondern auf einem Flugdinosaurier. Die Frauen haben große Brüste, die Männer große Schwänze, überall sind Linien und Punkte. Der Moebius-Comic Ballade (1977) erzählt von dem „Mädchen“ Loona (20) mit großen Brüsten, das nackt durch den Bio-Wald klettert, einen etwas einfältigen Wanderer trifft, der auf einem Truthahn reitet und Rimbaud-Gedichte vorlesend die Welt erkunden möchte. Sie entschließt sich dazu, den etwas einfältigen Wanderer zu begleiten und dann wird sie zusammen mit ihm zwei Seiten später in der Steppe von einer Soldatengruppe über den Haufen geschossen. Die Comics sehen gar nicht so sehr nach Sable aus. Man erkennt Elemente, die man auch im Spiel findet, aber die Zeichnungen und die Geschichten von Moebius vermitteln mir etwas anderes. Die Moebius-Geschichten sind gewalttätig, die Figuren haben Sex und bringen sich gegenseitig um, in Sable herrscht ruhige Entspannung, es gibt keinen Sex und keine Gewalt. Es passiert so wenig. Der Wind weht, Nacht und Tag wechseln sich ab, Berge werfen Schatten. Ich klettere hinauf und genieße die Aussicht. Moebius ist im März 2012 verstoben. Ich recherchiere nicht, wie die beiden Entwickler von Shedworks sich die Rechte am Werk von Moebius geholt haben. Haben sie das überhaupt gemacht? Ich kann Sable nicht sehen, ohne an Moebius zu denken. Wäre Moebis damit zufrieden, wenn sein Stil für eine banale Computerspielgeschichte verwendet wird, in dem es darum geht, sich für die Maske zu entscheiden, die man für den Rest des Lebens tragen will?

Ich spiele Sable nicht zu Ende, Fragen bleiben übrig: In den Raumschiffwracks finde ich Container, die mit DESIGNED IN LONDON beschriftet sind, aber ich weiß nicht, ob damit das bekannte London in UK gemeint ist oder ein Science-Fiction-London. Lebt Sable auf der Erde in der Zukunft? Was ist passiert? Ist Sable ein Mensch? Was hat es mit den Masken auf sich? Wer hat in Eccria die Energieversorgung sabotiert? Wie viele verschiedenen Enden gibt es? Würde ich auf diese Fragen eine Antwort haben wollen, könnte ich mir den beschleunigten Speedrun anschauen, wie man alle Achievements erhält, https://www.youtube.com/watch?v=iNcAV5MhhlQ, Sable | Full Walkthrough | 100% Achievements , eine Stunde, fünfunddreißig Minuten, sieben Sekunden.

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Unterschreibgeräusch. Ich wollte Sable sehr mögen (und schaue mir Moebius’ Bilder gerne an) aber war dann hauptsächlich erstaunt, wie sehr andere es mögen konnten. Was die Welt und ihre Erzählung mir an suspension of disbelief abverlangt hat, und an keine-Frage-haben-zu-dürfen hat sie mir ungemein egal gemacht. Schadé.

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