Krieg spielen im 21. Jahrhundert

Krieg spielen im 21. Jahrhundert – WASTED Magazin

„War never changes,“ grummelt Ron Perlman in den Fallout-Spielen. Das stimmt zwar nicht ganz, aber zumindest die Mythen, die sich um den Krieg ranken, zeigen sich erstaunlich langlebig. Und am hartnäckigsten halten sich diese Mythen ausgerechnet in Videospielen. Gerade angesichts des Krieges in der Ukraine ist es höchste Zeit, umzudenken. Text Cover Based on „This…

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Ich muss gestehen, beim ersten Lesen fand ich den Text recht fluffig. Danke jedenfalls dafür, auch wenn ich ihn im Detail etwas zerlegen werde.

Denn je länger ich darüber nachdenke, desto schwerer tue ich mich mit mit einigen Passagen… da wird viel behauptet, was im Detail dann gar nicht so stimmt oder nicht tief genug geht.

  1. Ist die Darstellung von negativ konnotierter Gewalt im Krieg wirklich primär auf das Setting des Mittelalters (oder einer fantastischen mittelalterlichen Welt) beschränkt? Wenn man das behauptet, dann blendet man jede Menge populärer Kriegsspiele aus, die sich geradezu in den brutalen Gewaltexzessen ihrer Schurken suhlen. Medal of Honor, Call of Duty, Far Crys… natürlich, Schau und Schockwerte, aber auch die reflektierteren Dinger wie Spec: Ops: The: Dingenskirchen und Disco Elysium und Hotline Miami gibt es ja. Schaut man dann in den SF-Bereich, findet man Gears und metallene Gears und Half-Lifes und Mass Effects… nur weil es so schön ins Schema mit dem finsteren Mittelalter und der Utopie der Fortschritts passt, weiß ich nicht, ob es auch so wahr ist. Anderer Gedanke: Generell scheinen mir signifikant weniger Videospiele in der Gegenwart angesiedelt zu sein, als in alternativen Realitäten und Historien. Wahrscheinlich auch, weil – anders als im Film – die Realität im Videospiel schwerer abzubilden ist, als die Fantasie. Vielleicht korreliert die Beobachtung also eher hiermit?

  2. Das Wort Mythen fällt ca. 38 mal, aber wo der Bezug zum Videospiel ist, bleibt ein bisschen im argen: Die Mythen von tapferen Helden und überlegenen Strategen sind ja nun (pop)kulturell verwurzelt und ebenso in jedem 2. Roman oder Film zu finden. (Video)spiele gehen da vielleicht noch den einen Schritt weiter. Filme zeigen dir die Tapferkeit von Rambo, der im Alleingang den Vietnamkrieg gewonnen hat. Aber Spiele zeigen dir, dass du – Ottinchen Normaldudine, die du halb 11 im Internet (!) eine viel zu lange Replik zu einem extrem frivolen Thema schreibst – ja dass du selbst diese tapfere Heldin sein kannst! Du kannst den 2. Weltkrieg doch noch gewinnen. Du kannst alles herumreißen, wenn du nur gut genug bist. Natürlich entspricht das grob dem Heldenmythos, aber ich glaube aus den Besonderheiten des Mediums lässt sich hier noch mehr herausholen. Den berühmten „armchair general“, der genau weiß wie man es macht, sehe ich in den Diskussionsbeiträgen der letzten Wochen sehr häufig. Vielleicht, weil wir alle schon erfolgreich Armeen zum Sieg geführt haben?

  3. Wo wir bei medialen Vergleichen sind. Die Behauptung, dass Spiele im Bereich Verantwortung für Kriegsdarstellungen pauschal schwächer dastehen… auf jeden Apocalypse Now oder Hurt Locker kommen sicher 50 Tom Clancys, Jack Bauers und random Marvel-Movies, die genau das Gegenteil tun.

Wenn man da trotzdem mitgeht, wäre doch die interessante Frage jetzt: Warum? Warum machen Videospiele mehr Heldenepos und weniger bedrückende Geschichten im und um den Krieg? Und was wären die Lösungen? Die 2-3 Positivbeispiele sind ja alle eher aus der Kategorie „bemüht“ (bis auf Defcon), aber eben nicht halb so geil, wie 160 Stunden Elden Ring.

  1. Nochmal Mythos… in Spielen ist nicht nur Gewaltkitsch, sondern auch reichlich Friedenskitsch drin. Natürlich kann ich in Mass Effect mit zwei richtigen Gesprächsoptionen jahrhundertealte Konflikte friedlich beenden. Natürlich kann ich DeusEx gewaltfrei lösen, wenn ich nur die richtigen Knöpfe drücke. Das kann man selbstverständlich als hoffnungsvolle Sicht auf die Dinge deuten, aber grade angesichts der aktuellen Konflikte auf unserem Planeten auch als realitätsfremde Ideologie abtun. Nein, Frieden ist nicht immer möglich und Menschen lassen sich nicht durch die richtigen Sätze zum gewünschten Ziel bringen. Ideologie und Hass sind nicht pauschal mit Empathie und Wahrheit zu besiegen. So scheiße das auch sein mag.

  2. Oh, und noch ein loser Gedanke: Wie gehen wir mit Mythen um, die dann doch gar nicht so falsch waren? Dass das unmenschliche Böse im Osten sitzt habe ich in hunderten von Spielen erfahren, in denen ich (ehemalige) Ostblock-Generäle und Orks ihre Schranken weisen musste. Was tun, wenn nun ein Ostblock-Herrscher mit Nuklearwaffen droht und Völkermord betreibt? Zähneknirschend Call of Duty die Absolution erteilen? (vielleicht nicht ganz ernst gemeint)

  3. Was mich vielleicht so frustriert, dass ich hier 1000 Wörter schreibe: Ist das echt der Stand der Debatte? „Videospiele müssen klüger werden“ als Fazit? Das war der Tenor der Spieleblogs vor 15 Jahren und die große Hoffnung der Indie-Szene vor 10. Ist seither echt nichts passiert? Gibt es nur „Prozentwertungen sind albern“, „Mainstream ist scheiße“ und „Spiele sind dumm“? Oh, Gewalt natürlich, jetzt hätte ich fast die Killerspiele vergessen.

Nicht falsch verstehen, ich habe sowas sicher auch 100x geschrieben. Aber inzwischen frage ich mich, ob man nach bald 65 Jahren Videospiel überhaupt am richtigen Ort sucht und ob man nicht langsam mal den Controller weglegen und ein Buch lesen sollte. Oder halt die _ guten_ Dinger feiert, die es dann doch zuhauf in all den Jahren Videospiel gibt. Und die auch immer wieder feiert und neu beleuchtet und aufhört, ständig nur auf die neuen Releases zu schielen und den „Zustand der Spieleindustrie“ zu bemängeln.
Film und Literatur haben dieses Problem viel weniger, sich einfach geiles Zeug aus den letzten 50 oder 100 Jahren zu schnappen und den Bullshit zu ignorieren.
Wo bleibt „Diese 10 Kriegsspiele sind anders, als du denkst.“ ? Von Balance of Power bis Spec Ops… keine Ahnung. Ich glaube eine Menge Spiele leiden darunter, dass ihre Designenden nur Mario, Zelda und Anime als Referenz haben und gar nicht wissen, was geht.

Old man yells at cloud… aber irgendwie vermisse ich den Progress nicht nur von Spielen, sondern auch vom Spielejournalismus.

  1. Also lass mal Progress machen: Kein Entwickler, aber wie sähe denn ein kluges Antikriegsspiel (um mal bewusst diesen ambivalenten Begriff zu nehmen) konkret aus?
    Weder ein 60-minütiger Walking Simulator noch 10h Ballerei mit Twist würde ich als wirklich eine befriedigende Lösung empfinden.
    Wir brauchen Krieg. Wir brauchen Interaktivität. Spielmechanik die nicht zu seicht ist.

Vorschlag 1:
Titel: Nachrichtendienst
Grafik: Pixelart, bunt, technisch
Setting: Kryptografie-Experte beim Geheimdienst
Gameplay: Du musst mit irgendeiner Puzzle-Mechanik abgefangene Funksprüche entschlüsseln und daraus Handlungsempfehlungen an deine Vorgesetzten ableiten. Anfangs sind es Truppenbewegungen und dir ist völlig klar, wer Freund und wer Feind ist. Zusehends werden die entschlüsselten Funksprüche komplexer, liefern ein anderes Bild des Krieges als das, was dir im Intro präsentiert wurde. Du kannst versuchen, die eigenen Leute zu manipulieren um Gräueltaten zu verhindern oder die Flucht von Zivilisten zu ermöglichen, läufst aber permanent Gefahr aufzufliegen. Oder du machst alles führungstreu und wirst am Ende als Kriegsverbrecher verurteilt.
Bisschen Papers Please Dilemma und so.
Yay or nay: Wenn die Puzzle-Mechanik nicht supergut ist, wird alles auseinanderfallen.

Vorschlag 2:
Titel: Silhouette
Grafik: Unreal Engine Grafikbrecher. 120 FPS mit Raytracing.
Setting: Stealth-Spiel irgendwo im fiktiven Osten
Gameplay: Metal Gear Solid/Splinter Cell, aber ohne die fiktiven Betäubungsangriffe… 1-2 Level ziemlich harmlos. Dann irgendwann musst du aber nicht mehr nur an Kameras und automatischen Geschützen vorbei, sondern die ersten Soldaten töten. Kennt ihr diese kurzen Foto-Shots aus “Lola Rennt?”, wenn Lola an unbeteiligten vorbei saust und man in 5s die Lebensgeschichte der Personen präsentiert bekommt? Du stichst den Typen im Durchgang ab, und das Spiel springt in die Vergangenheit. Andere Person, anderes Gameplay. Für 2h musst du eine Restaurantkette managen, für den Bandauftritt proben, Zeitungen austragen, Steuern hinterziehen, Boxweltmeister werden oder Schutzgelder erpressen. Durch die Silhouetten erfährst du nach und nach etwas über die Soldaten, die du da umbringst, ihre persönlichen Hintergründe und den Schaden, den sie und du da verursachen (oder verhindern).
Yay or nay: Spiele mit wechselndem Gameplay sind immer scheiße. Niemand mag Minigames (nur Triple Triad war gut!).

Danke, dass sie zu meinem Ted-Talk erschienen sind.

(Ich schrub das gestern Nacht nach 2 Gläsern GinTonic… keine Ahnung, ob die Argumentation noch funktioniert).

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Der Artikel fasst den Begriff „Kriegsspiel“ sehr weit: Im Grunde bezieht er sich auf alle Programme, die in irgendeiner Weise Krieg/Konflikt behandeln. Der allgemeinen Forderung, dass es in Zukunft viel mehr Spiele geben sollte, die sich differenziert mit dem Schrecken insbesondere des modernen Krieges auseinandersetzen, wird sich - glaube ich - jeder sofort anschließen.

Für jemanden, der gerne mit der enger gefassten Gruppe der „Kriegsspiele“(*) Zeit verbringt, ist es vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens gleichzeitig noch schwieriger als sonst der Frage ausweichen, was genau er da mit Freude spielt? Die Problematik besteht natürlich nicht erst seit gestern. Obwohl ich dabei immer wieder mit mir selber ringe, neige ich zu der Ansicht, dass diese spezielle Art des (Kriegs)spiels einfach inhärent amoralisch ist und das womöglich aus gutem Grund.

Wenn man zum Beispiel in dem hervorragenden Unity of Command auf der abstrakten Karte der Ostfront erfolgreich eine russische Armee eingekesselt hat, nimmt man dies in der Spiellogik natürlich als Erfolg war, obwohl man um die Greuel des historischen Hintergrunds weiß. Es wäre aber meiner Meinung nach nicht verantwortungsvoll, sondern geradezu pervers, wenn es in einem solchen Programm Mechaniken d.h. Regeln für das Verhungernlassen von Millionen Kriegsgefangenen, das Morden der Einsatzgruppen etc. gäbe. Ich fürchte, zumindest hochgradig mechanische Spiele, die „gewonnen“ werden wollen, sind einfach denkbar ungeeignet moralische Fragen abzubilden. Auch das Argument, sie sollten dann wenigstens die wichtigen historischen Informationen nebenbei „mitliefern“ überzeugt mich nicht völlig.

Es bleibt natürlich trotzdem die schwierige Frage warum man Produkte mit einem solchen geschichtlichen Anstrich überhaupt spielen will? Es geht aktuell wahrscheinlich einigen so, dass sie nach den Nachrichten den PC anmachen, Steam durchscrollen und sich denken: Heute nicht.

(*) ~ Strategiespiele, deren zentraler Inhalt die abstrakte Abbildung einer kriegerischen Auseinandersetzung ist

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Danke für den Artikel zu dieser Zeit! Auch wenn der mir fast durchgerutscht wäre…
Hier meine Gedanken zu dem Thema als reiner Konsument, der nichts mit Journalismus oder Gaming-Industrie zu tun hat:
Ich, Pazifist und damaliger Kriegsdienstverweigerer ertappe mich tatsächlich immer wieder dabei einen Heidenspaß mit Spielen wie Battlefield, Call of Duty, usw. zu haben. Ich will hier gar nicht so sehr auf das „Kriegspielen ist unmoralisch/gefährlich/brutalisierend“ Argument eingehen, davon halte ich in pauschalisierter Form nicht viel. Ich habe aber feststellen müssen, dass historische Varianten, also WW1 und 2, Golfkrieg etc. mich mittlerweile extrem abschrecken. Auf die Frage nach dem Warum habe ich festgestellt, dass es für mich schlimmer und zynischer ist, dass extrem viel Marketing-Aufwand getrieben wird diese als ANTI-Kriegsspiele zu etablieren, um dann doch reine Ballerorgien darzustellen, als das reine Vorhandensein dieser Spiele an sich (es sind ja eben Spiele, und keine Wehrsportübungen oder ähnliches). Call of Duty WWII ist dafür ein großartiges Beispiel. Sich die Tradition von Band of Brothers zu nutze zu machen und ein „Mitten im Schrecken des Krieges“ Gefühl erzeugen zu wollen, um dann doch nur in stumpf heroischem (wenngleich spielerisch spaßigem) Geballere zu enden, zeigt für mich diesen Zynismus ganz deutlich auf. Auch schön bei diversen Let’s Plays zu sehen. In den ersten Minuten geht es noch um die erdrückend beklemmende Atmospäre. Fast jedesmal sind Sätze zu hören wie: „Oh mein Gott, zum Glück muss ich sowas nicht real durchleben“ oder „Was muss das für eine Hölle gewesen sein!“. Keine fünf Minuten später hört man nur noch Sätze wie „Stirb Du Sau! Ha! Deine Mudda!!!“, „Hihi, in dem Arsch getroffen!“ oder ähnliches. Ich war dann doch erschrocken, als ich ähnliche Sätze aus meinem Mund gehört habe.
Ich spiele zumindest die auf realen Vorlagen beruhenden Spiele nicht mehr, weil ich die einfach als Verhöhnung der Opfer betrachte. Denn man muss sich immer vor Augen halten dass bei all dem nur um Business geht! Es wird viel Geld gemacht!
Und ich möchte hier auch den Spielejournalismus in die Pflicht nehmen: Hier wird dieser Exploitation-Faktor immer noch viel zu unkritisch übersehen und der „Ballerspaß“ zu sehr gefeiert.
Kurz gesagt, ich feiere Ballerspaßorgien, aber nur solange mir der Spaß nicht im Halse stecken bleibt und skrupellose Geschäftemacher hier mit real geschehenem Elend Kasse machen.

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