Death Stranding: Essay (ohne Spoiler)

Liebe Wasted-Community: Hallo! Ich möchte hier einen Text von mir über Death Stranding teilen. Ich überlege darin, worum es in dem Spiel geht (und vermeide Spoiler so gut es geht).

Handlung, Werbung und meine Spielerfahrung

In Death Stranding spiele ich Sam Porter Bridges, der eigentlich Sam Strand oder Sam Porter Strand heißt, aussieht wie Daryl Dixon aus The Walking Dead und der Sohn der Präsidentin von AMERIKA ist. Als Sam (Porter) Bridges/Strand bin ich Paketzusteller, aber eigentlich bringe ich die gespaltene Gesellschaft zurück in das vereinigte Netzwerk von AMERIKA.

Death Stranding macht Dauerwerbung für den „Monster“-Energy-Drink, den Sam (Porter) Bridges/Strand trinken muss, wenn ihm die Puste ausgeht, und der sich im Spiel von selbst wieder auffüllt. Die Figuren haben komische Namen, Deadman, Heartman, Die-Hard Man usw., und sehen aus wie berühmte US-amerikanische Hollywood-Menschen, Testimonials. Heartman, der aussieht wie Nicolas Winding Refn, steht vor einem Regal mit Blu-rays (?) und zieht Twenty Minutes of Love heraus, während er sagt, Consumable within a twenty-one minute window . Wenn Sam (Porter) Bridges/Strand auf seinem Motorrad durch die Gegend düst, sagt er, Wow, this bike is so cool, it should be on ‚Ride with Norman Reedus‘ .

Die meisten Menschen leben in unterirdischen Bunkerstädten. Davon erfährt man aber nichts, weil diese Bunkerstadtmenschen brauchen keine Pakete, sie haben alles vor Ort. Ich weiß nicht, ob es ihnen gut geht. Einige Menschen aber leben allein oder zu zwei im eigenen Bunker außerhalb der Städte. Diese Prepper haben, so wie Deadman, Heartman und Die-Hard Man, auch keine richtigen Namen, sondern heißen bloß Filmregisseur, Fotografin, Cosplayerin, Bergsteiger usw.; ihnen geht es vermutlich gut, weil sie wollen keine Lieferungen mit lebensnotwendigen Sachen haben, sondern Unterhaltung: Ich bringe dem Filmregisseur Riesengorillafiguren, dem Alten Dünger für Bonsaibäume, dem Sammler ein altes Brettspiel.

Berühmte Menschen haben Cameos als Prepper, ich erkenne zum Beispiel Conan O’Brien, weil ich ihn von YouTube kenne. Ich stellte mir vor, wie er in seiner Late-Night-Show erzählt, dass er für Death Stranding gescannt worden ist. Jemand fragt ihn, worum es in dem Spiel geht und er sagt, er habe no idea, alle lachen. Dann wird er gefragt, was seine Figur macht und er sagt, dass sie eine Ottermütze trage, wieder lachen alle.

Ich gehe selten zu Fuß, sondern fahre mit Motorrädern oder Trucks durch die Landschaft. Überall in der Welt liegen Pakete verstreut. Ich orientiere mich an aufdringlichen Markierungen, sodass ich kaum auf die modellierte Natur achte.

Manchmal frage ich mich, ob die USA wirklich so aussehen wie in Death Stranding.

Ich verstehe erst nach mehreren Stunden, wie man Waffen ausrüstet und pausiere etliche Male während des ersten großen Kampfes, um meine Fracht umzuladen. Ich weiß nicht, ob es einen Befehl für das Frachtmenü gibt und habe mir angewöhnt, die Karte zu öffnen, auf die Markierung für Sam (Porter) Bridges/Strand zu klicken und mich dann durch das Frachtmenü zu steuern. Während des Kampfes lege ich etliche Reparatursprays, Kletterverankerungen und Leitern weg, um die eigenartigen Granaten auszurüsten, die ich im Spiel davor noch nie gebraucht habe, die aber irgendwo im Inventar sind. Wenn sie mir ausgehen, erscheint aus dem Boden eine weiße Figur, die nicht weiter erklärt wird und kommentarlos Pakete mit neuen Granaten in meine Richtung wirft.

Ab Kapitel 3, „Fragile“, verstehe ich, wie man sich durch die Menüs navigiert – und das ist das, was ich in dem Spiel hauptsächlich mache. Die eigentliche Landschaft in Death Stranding ist das Menü. Ich bestätigte & widerrufe, ich wähle aus, komme von einem Menü in das nächste; ich lese virtuelle E-Mails, ich ändere die Verteilung der Fracht, scrolle mich durch Auftragsbeschreibungen.

Einsamkeit und E-Mails

Ich dachte, dass es Death Stranding um Einsamkeit geht, dass ich sehr lange allein durch eine schöne Landschaft wandere, auf der Suche nach der Bedeutung von Death Stranding. Aber das ist nicht so: Ich fühle mich nie allein, alle möchten mit mir reden. Vor allem zu Beginn werde ich ständig angerufen, dauernd piepsen Notifications. Mir werden im Spiel etliche E-Mails zugesendet. Ich bin froh, wenn ich den Bereich mit Netzwerkempfang verlasse und endlich von diesen Anrufen in der Ruhe gelassen werde.

Aber man muss in Death Stranding E-Mails lesen, damit zum Beispiel der nächste Auftrag beginnt oder man den entscheidenden Hinweis für das Weiterkommen erhält. Wenn man die E-Mails nicht liest und irgendwo zu lange ansteht und herumsucht, ruft mich jemand an und fragt, ob ich meine E-Mails schon gelesen habe, vielleicht hat mir jemand etwas Wichtiges geschrieben. Es gibt es ein Steam-Achievement dafür, hundert Mails gelesen zu haben (ich habe es nicht bekommen).

Easy Rider

Jede meiner Lieferungen ist awesome und ich bekomme viele Likes dafür. Es ist auch nicht schwierig, die Pakete zuzustellen. Obwohl die Menschen ihre Bunker nicht verlassen, kann ich jedes der Pakete, die ich beim Herumspazieren finde, in jedem beliebigen Bunker abliefern. Ich frage mich, warum die Pakete nicht mit einem Hubschrauber geliefert werden. Wenn ich Pakete ausliefere, freuen sich die Empfänger*innen und sagen mir, wie großartig ich bin. Wenn ich schon mehrmals Pakete zu einem Bunker gebracht habe, und mich dann erneut nähere, hüpfen Hologram-Figuren wie aufgeregte Kinder auf- und ab. Sie winken mir zu und rufen Hey Sam! Ich bringe mit meinen Lieferungen die Freuden der Zivilisation; die Bunkermenschen sagen, ich sei ein true hero.

Death Stranding ist wie ein invertierter Western, ein Anti-Western, ich bin die Zivilisation, die von Osten in den fragmentierten Westen vordringt und die einsamen Bunkermenschen ins Netzwerk aufnimmt und zurück in die Zivilisation führt, damit sie dort … ich weiß nicht … Jede Figur wird so dargestellt, als ob ihr die Gemeinschaft fehlen würde, aber zugleich ist das vereinigte Netzwerk von AMERIKA überhaupt keine Gemeinschaft, sondern nur die Aussicht darauf, mit Unterhaltungskram und E-Mails in einem Bunker zu vergammeln. Aber es geht um Gemeinschaft, das ist klar: Voneinander getrennte Menschen wieder miteinander verbinden, ihr Misstrauen zerstreuen und eine neue Gemeinschaft schaffen. Das sind meine Aufgaben und das sagt mir auch Die-Hard Man, der immer wieder neue Aufträge parat hat. Die-Hard Man trägt eine eigenartige Totenkopfmaske und erwähnt in jedem zweiten Satz AMERIKA (irgendwann wird beiläufig die Frage aufgeworfen, warum er eine Maske trägt und sinngemäß wird nur gesagt, he was already wearing the mask when I met him, something about burning his face ; mir gefällt es, dass das nicht genauer erklärt wird; man versteht zwar nicht, warum da jemand eine Maske trägt, aber die Figuren im Spiel wissen es auch nicht so genau). Irgendwann sagt Die-Hard Man, das Ziel sei to make America whole again . Mir schaudert es: Make AMERIKA whole again? Das Spiel ist im Jahr 2019 erschienen, in der Hochzeit des trumpisme , während make america great again getwittert worden ist. Wurde die Gesellschaft nicht genau mit solchen Slogans gespalten? Ist Death Stranding ein Kommentar darauf? Sind wir es, die in Bunkern sitzen (und dort Death Stranding spielen) und uns danach sehnen, wieder in d. Netzwerk/Gemeinschaft aufgenommen zu werden? Was für eine Gemeinschaft soll das sein? Macht sich das Spiel darüber lustig?

Death Stranding zeigt, dass eine gespaltene Gesellschaft wieder zusammengebracht werden kann. Die voneinander Getrennten eint der Wunsch nach gemeinsamem Konsum von Unterhaltung (vereinigtes Starren in den Bildschirm). So unterschiedlich „wir“ sein mögen, wir sind Bergsteigerinnen, Cosplayerinnen, Fotografinnen, Filmregisseurinnen, Trumpwählerinnen, Impfgegnerinnen, aber wir alle freuen uns über die Pakete, die ein lustiger Paketzusteller oder eine lustige Paketzustellerin zum Bunkereingang bringt. Die gespaltene Gesellschaft wieder vereint als Konsumgemeinschaft, ein Verein besitzgeiler Menschen. Rammstein singen Coca-Cola sometimes war , ich kaufe mir Death Stranding im Steam Summer-Sale als Wochenendangebot um minus sechzig Prozent und zahle nur dreiundzwanzig Euro neunundzwanzig statt fünfzig Euro. Vielen Dank für die subtile Kapitalismuskritik, ich schreibe dann auch etwas über Death Stranding , um Abwesende über den Text mit mir zu verbinden und Likes zu kassieren, Heil Coca Cola (Heiner Müller).

Ich freue mich darüber, dass das Spiel auf Deutsch besonders verwirrend ist, weil viele Figuren Strand heißen und das Spiel manchmal an einem Strand spielt.

„Es ist unmöglich, zweimal in denselben Fluß hineinzusteigen“

Letztendlich wird in Death Stranding alles erklärt. Es gibt am Ende keine offenen Fragen mehr. Ich behaupte, dass alles rational nachvollziehbar ist. Die Geschichte von Death Stranding ist komplex und hat viele Wendungen, aber sie ist weder unlogisch noch vage. Worum geht es in Death Stranding eigentlich?

Auf YouTube sagt einer („I have a graduate degree in fiction“), Death Stranding , das sei so wie ein Blockbuster-Movie (eine „Heldenreise“ usw.). Im Internet steht, Death Stranding sei so wie Metal Gear Solid , so wie „a good Netflix series“, wie „a fully realized thought experiment that fails to deliver in practice“.

Wolfgang M. Schmitt junior sagt in seiner Kritik und Filmanalyse von Mad Max: Fury Roads , dass es „bei einer Stelle bei Heraklit heißt“ – er öffnet das Reclam-Heft Die Vorsokratiker: Griechisch/Deutsch und liest vor –, „Der Weg hin und her ist ein und derselbe“, und das stehe laut Schmitt für „diese Richtungslosigkeit, die uns doch alle irgendwie umtreibt“. Sagt mir auch Death Stranding etwas über Orientierungslosigkeit? Ist „der Weg hin und her ein und derselbe“? (Was ist falsch daran, das Heraklit-Fragment B60 ohne Kontext als Kernstück von Heraklits Philosophie darzustellen?)

Inwiefern ist Death Stranding so wie Mad Max: Fury Roads oder Metal Gear Solid oder Die lächerliche Finsternis oder Nomadland oder なわ ? Oder sagt Death Stranding etwas über Tod, Leben und Existenz, wenn ich eine substanzdualistische Trennung von Körper und Geist, oder ha und ka , wie im Spiel heißt, akzeptiere? Geht es um die Frage, warum die Dinosaurier ausgestorben sind?

Das Spiel Journey erlaubt einen guten Vergleich mit Death Stranding, weil die Aufgaben in Death Stranding im Vergleich zu Journey klar größenwahnsinnig hervortreten: Sam (Porter) Bridges/Strand soll auf sich allein gestellt die gespaltene Gesellschaft heilen, einen ganzen Kontinent neu verbinden, den Weltuntergang verhindern, Amazon ersetzen. Mit Journey wollten die developers „to evoke in the player a sense of smallness and wonder and to forge an emotional connection between them and the anonymous players they meet along the way“ (Wikipedia), das heißt, dass Spieler*innen eine emotionale Beziehung mit einem anderen Wesen eingehen sollen. Das ist eine bescheidenere Aufgabe, aber etwas, das auch gelingen kann.

Schon die Heilung einer gespaltenen Gesellschaft ist mehr als nur der wiederholte Aufbau einer Beziehung mit anderen Wesen. (Was ist eigentlich in anderen Ländern passiert, ist dort auch der Tod gestrandet? Oder ist das egal, weil AMERIKA sowieso nur eine Metapher für die komplett übergeschnappte Menschheit ist?) Interessiere ich mich für die Prepper? Ich weiß spontan nicht, ob Sam (Porter) Bridges/Strand mit irgendeiner dieser Figuren überhaupt ein Wort wechselt. So kann keine gute Vertrauensbasis entstehen. Sam (Porter) Bridges/Strand schreibt keine einzige E-Mail in Death Stranding . Wenn er einmal etwas sagt, dann macht er mit wenigen Worten klar, was er denkt, zum Beispiel, wenn ihn jemand über AMERIKA zuschwafelt, why don’t you save the shit for someone who cares, fuck America . Vielleicht ist die Idee, eine gespaltene Gesellschaft durch Paketzustellungen zu heilen, auch zu utopisch. Vielleicht geht es in Death Stranding darum, dass ein Mann eine Verbindung zu seinen Gefühlen aufbaut.

Da ich bis zum Ende nicht verstanden habe, was Likes bedeuten, habe ich mich auch nicht mit anderen Menschen verbunden. Und doch: Du kannst fragen, was mit Sam (Porter) Bridges/Strand am Ende seiner Reise across the USA passiert. Der „I have a graduate degree in fiction“-Mensch würde von kompletter Transformation sprechen, dem entdeckten freedom to live . Das wird ihm, Sam, also mir, im Spiel auch nahegelegt: Don’t act like your’re the same person . Also: Der Weg hinauf und hinab ist nicht ein und derselbe (Schmitt soll einmal Heraklit-Fragment B95 oder B96 anschauen; Seite 273 in seiner Ausgabe). Sam (Porter) Bridges/Strand streitet das ab: The world is still broken. The same as before . Und wie ein echter Cowboy sagt er, I’ve got no ties to anyone or anything. I might as well be dead. I felt like that when we first met […] , and I still do . Das Ende von Death Stranding ist, like a good Netflix series , hochemotional. Wenn es jemand schafft, eine Verbindung zu den eigenen Gefühlen aufzubauen, dann ist das vielleicht eine Voraussetzung für Gesellschaft?

Am Ende von Death Stranding bin ich Elitekurier in der Klasse 244 und habe 124.118 Likes, aber am Ende von Journey stampft mein companion den Umriss eines Herzens in den Schnee am Berg.

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Das war gut. Geschrieben und vorgetragen; Nun leg dich erst einmal hin, ja: Ruhe, die Du dir verdient hast.

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