Alan Wake: Essay (ohne Spoiler)

Liebe Wasted-Community: Ein Text über Alan Wake und teilweise Days Gone und Alan Wake 2.

Alan Wake, offensichtlich writer, trägt ein flexibles Sakko mit Ellenbogen-Patches für den „eleganten und auch etwas lockeren Business-Casual Einsatz“, aber keine Brille und er tippt auf einer Schreibmaschine ohne Recherchematerial einfach einen Bestseller nach dem anderen. My name is Alan Wake. I’m a writer , sagt er gleich Anfang des Spiels. Vermutlich würde er sich auch bei einem Treffen mit anderen Personen so vorstellen, aber Alan Wake muss sich nicht vorstellen, weil in der Öffentlichkeit stehen Pappfiguren von ihm herum und er wird schon erkannt, bevor er sich vorstellt, oh God, I am your biggest fan, I know people say that all the time, but I really am!

So viele Menschen mögen das Spiel. Alan Wake „has garnered a cult following“ steht auf Wikipedia. Ich hatte nie großes Interesse an Alan Wake: Ein Nacht-Spiel und leider nicht so wie Max Payne. Man wird von finsteren Schattengestalten verfolgt und leuchtet mit einer Taschenlampe in die Dunkelheit. Ich bin kein Fan von dunklen Computerspielen. Ich mag es nicht, wenn man eine Figur steuert, aber nicht sehen kann, wohin. Bei der Konfiguration adjust the brightness until the left icon is not visible, the middle icon is barley visible, and the right icon is clearly visible schiebe ich den Regler an eine Position, bei der ich auch das linke Icon noch deutlich sehen kann. Es ist deswegen selten dunkle Nacht bei mir am Bildschirm. Ohne große Begeisterung denke ich an das Tomb of the Giants in Dark Souls. Mein Desinteresse an Alan Wake was so groß, dass ich den AWE-DLC von Control abgebrochen habe: Ich konnte mit den Namen von Orten und Personen nichts anfangen und der Investigations Sector war so dunkel, dass es mich zu bald zu sehr genervt hat. Alan Wake? Non merci, dachte ich.

Aber im Frühjahr hatte ich Days Gone gespielt und ich war von der Schönheit der Landschaft überwältigt. Ich möchte den Wald zum Beispiel sehr, er wirkte dicht und undurchdringlich: Äste und Blätter bewegten sich im Wind, ich hörte am Tag Vögel singen, entdeckte kleine und große Wasserfälle. Days Gone spielt im US-amerikanischen Bundesstaat Oregon und auch das Entwicklerstudio Bend kommt aus diesem Bundesstaat. Man kann beim Spielen schwer übersehen, dass man sich im virtuellen Oregon befindet; es gibt im Spiel Tafeln für Sehenswürdigkeiten und touristische Oregon-Collectibles. Die Orte im Spiel haben reale Vorbilder und ich setze die Erkundung der Landschaft oft im Internet fort. Im Artbook zum Spiel, das kostenlos auf archive.org abgerufen werden kann, steht: „Getting inspired was easy: we didn’t need to go much further than our own backyards to gather a mountain of reference. […] You can discover dozens of waterfalls that closely resemble actual waterfalls, rivers with cascading currents, insects, and even areas of terrain ravaged by wildfires. You may also encounter random gusts of wind that propel a torrent of leaves across your path or swells of snow.“

Ich wollte Alan Wake dann doch ausprobieren, weil ich dachte, dass es auch in Oregon spielt und ich mir schöne Landschaft erwartet hatte. Ich hatte die Remastered-Version im Frühjahr gekauft und wenige Tage vor Erscheinen zweiten Teils installiert und gestartet. Im Spiel fällt mir bald auf, dass die Nummerntafeln der Autos mit Washington beschriftet sind – eigenartig, dachte ist, aber vielleicht sind das Leute, die mit dem Auto in den Urlaub gefahren sind oder so. Später lese ich, dass das Spiel in Washington, dem US-amerikanischen Bundesstatt der im Norden an Oregon grenzt, spielt. Ich bin darüber enttäuscht, aber nicht so sehr, weil Washington auch in der Region liegt, die im Internet oder den USA Pacific Northwest genannt wird. Remedy haben Oregon (und Washington) bereist, um Inspiration für Alan Wake zu sammeln, bestimmt auf eine ähnliche Weise wie es die Leute von Bend im Artbook von Days Gone beschreiben. Wie in Days Gone bleibe ich in Alan Wake manchmal auf einer Brücke über einen Bach stehen, manchmal ist es ein umgestürzter Baumstamm, schaue dem Verlauf des Wassers nach und bewundere die Landschaft. Leider ist es oft zu dunkel, um viel davon zu sehen.

Mir gefällt vor allem der Beginn des Spiels. Alan Wake ist mir zwar nicht wirklich sympathisch, aber ich fühle mich als Teil der Welt. Mir gefallen die Unsicherheit und das Herumirren im dunklen Nebelwald. Es ist schön, wenn der Mond zwischen den Bäumen durchscheint. Überhaupt ist der Wald schön. Es gibt eine Stelle, an der man über umgefallene Baumstämme den Weg über einen Fluss finden muss. Es gibt einige Höhlen, bei denen ich mich an Days Gone erinnere. Bei dem Haus auf der Diver’s Isle am Cauldron Lake denke ich an die Wizard Island in Days Gone und dann denke ich Videos über die Wizard Island im Crater Lake in Oregon. Ist der Crater Lake das Vorbild für Cauldron Lake? Es tut mir leid, dass ich so sehr auf die Landschaft fixiert bin, aber so ist es nun mal. Im Frühjahr als ich Days Gone gespielt habe, las ich Fugitives and Refugees von Chuck Palahniuk, der mir als erstes einfällt, wenn ich Oregon höre. Fugitives and Refugees ist so etwas wie ein Reiseführer für Portland in Oregon. Palahniuk schreibt: „the Pacific Northwest is ‘America’s Killing Fields,’ because the people are so friendly and trusting. The wilderness is always nearby. It rains, and things rot fast.“ Das hat zum Oregon in Days Gone gepasst: dort fressen Zombies im Wald Leichen aus Massengräbern; ich fuhr über einen vom Regen rutschigen Feldweg daran vorbei und hoffte, dass ich zwischen den Bäumen verschwunden sein werde, bevor mich die lebenden Toten eingeholt haben. An diesen Satz, things rot fast, denke ich oft bei Alan Wake, aber das passt nicht so gut zusammen. Es geht nicht um körperlichen Verfall, sondern um geistigen.

Ich kämpfe in Alan Wake gegen meinen geistigen Verfall, vielleicht überhaupt gegen den Wahnsinn in Nichtgestalt der dark presence. Ist dieser Kampf so großartig umgesetzt? Ich frage mich, ob es Sinn macht, dass man auf die Gegner schießt. Bestehen sie eigentlich aus Materie? Wenn nicht, dann sollte das Ausleuchten reichen – der clicker, dieser externe Lichtschalter, ist auch keine Kanone, aber wohl das nachhaltigste Mittel gegen die dark presence – und wenn die Gegner doch materielle Schatten sind, dann ist mir nicht klar, was das für eine Materie sein soll. Einmal schieße ich auf einen Fernseher, aber nichts passiert: ich bin enttäuscht. Ich erinnere mich daran, bei Max Payne am Ende einer Schießerei in einem Raum voller Einschusslöcher gestanden zu sein. Die Gefechte haben Spuren hinterlassen, auch im Jahr 2001. Ich denke an Control, bei dem ein großer Teil des Spaßes, für mich zumindest, darin bestand, Innenräume auseinanderzunehmen (der unterschwellige Traum aller Schreibtischmenschen ist es, Büros zu verwüsten). In Alan Wake bleiben die Innenräume und Gegenstände ganz. Das wirkt sich sogar in Control weiter fort, weil im Alan-Wake-DLC – den ich dann nach dem Ende von Alan Wake doch fortsetze, weil ich neugierig geworden bin – können die Leuchten nicht zerstört werden, wenn man sie noch für etwas benötigt. Das ist ein enttäuschender Bruch mit dem Rest des Spiels. Wieder denke ich, wozu braucht man überhaupt die Pistole, man könnte die Schatten einfach wegleuchten, mit Licht zerschneiden. Ich begreife auch nicht genau, was ich mache, wenn ich das Licht der Taschenlampe „bündle“. Ich strecke den Arm mit der Taschenlampe aus, der Batterieverbrauch erhöht sich, aber ich verstehe nicht, warum. Was mache ich da? Kann man mit einer Taschenlampe „stärker leuchten“? I squeezed the flashlight like my life depended on it, […]. Suddenly, something gave, and the light seemed to shine brigher, schreibt Wake mit eigenartiger Beistrichsetzung, aber damit weiß ich bloß, dass er es auch nicht so genau versteht.

Wie lange ist es her, dass ich im Dunkeln mit einer Taschenlampe geleuchtet habe? Als Kind, vielleicht als Jugendlicher. Das Herumleuchten hat mir immer Spaß gemacht, aber es war auch ein wenig enttäuschend, weil der Lichtkreis bloß so klein war. Ich habe aktuell gar keine Taschenlampe, nur am Handy die Funktion, den Blitz als Dauerlicht zu aktivieren. Im Fall des Blackouts – seitdem die Covid-Pandemie vorbei ist und die Welt im Krieg versinkt, redet niemand mehr davon – wäre ich aufgeschmissen.

Ich nehme das Ganze mit der Schattenmaterie nicht so ernst und von dem Elend der Welt und meinem Eigenen schaue ich weg und ich bin mit Alan Wake gut unterhalten. Die Story wird straff erzählt und ist nicht endlos lang; ich hatte das Spiel in einigen Tagen durchgespielt und dabei Spaß. Leute im Internet sagen, das Spiel sehe alt aus, weil es im Jahr 2013 veröffentlicht wurde und man das an der Grafik sehe und am Gameplay bemerke. Mich stört das nicht, nach einigen Stunden fällt mir kein Unterschied zu neuerschienenen Spielen mehr auf (aber gut, ich spiele auch ich die Remastered-Version aus dem Jahr 2019). Ich habe mich beim Spielen mehrmals an Control erinnert, weil sich das Gameplay ähnlich anfühlt – ohne, dass ich genau sagen könnte, wie genau. Ich frage mich, ob die Leute, die Alan Wake vor Control gespielt hatten, eine ähnliche Erinnerung an Alan Wake hatten.

Alan Wake ist vollgepackt mit nods in Richtung Fanboys und -girls. Im Oh Deer Diner hören die Old Gods of Asgard das Lied vom Reservoir-Dogs-Soundtrack. Cynthia Waever, die Lamp Lady, steht am Gang in Richtung Toiletten und ist gleichermaßen entrückt wie die Log Lady aus Twin Peaks, die dort das Geschehen kryptisch erklärt. Ich google und sehe, dass die Log Lady Margaret Lanterman heißt, und das passt, stelle ich ohne große Überraschung fest, wieder mit Alan Wake zusammen, wo die Log Lady Lanterman zu einer latern woman wird. Die erste Episode von Alan Wake endet mit dem Lied, das du von Blue Velvet kennst. Mir fällt auch, sogar, möchte ich schreiben, der neighour of the beast am Taucheranzug von Thomas Zane auf, sogar das fällt mir auf. Diese Aufzählung kann fortgesetzt werden, falls jemand das Aufzählungsachievement anstrebt.

Was mich aber stört, und das wird nun qualvoll ausgebreitet, ist, wie Alan Wake als Schriftsteller dargestellt wird, also einer, der im Sakko mit Ellenbogen-Patches vor, hinter oder beim Schreibtisch sitzt und auf einer mechanischen Schreibmaschine tippt. Ich finde diese Darstellung lächerlich. Du kannst puristisch sein und mit Bleistift schreiben, wie zum Beispiel Handke. Oder du tippst, wie jeder andere Mensch, am PC. Lies einmal – tut mir leid, wenn das schon wieder kommt – was Carrère über das Schreiben auf einer Tastatur mit einem oder zehn Fingern schreibt. Ich google, ob es jemanden gibt, die oder der sich heute noch dazu bekennt, literarische Texte mit einer Schreibmaschine zu tippen. Ich finde Javier Marías, den ich nicht kenne, auch das tut mir leid, der als einer „der bedeutendsten und erfolgreichsten spanischen Schriftsteller der Gegenwart“ gilt. Marías ist 2022 an Covid gestorben und wird online wie folgt zitiert: „Ich benutze keinen Computer, ich tippe mit der Schreibmaschine. Einer der Gründe dafür ist, dass niemand wissen soll, was ich ,googele‘, wonach ich suche, was ich heranziehe.“ Ist das normal oder verrückt? Ich benutzte selbstverständlich einen Computer, tippe auf einer Tastatur über das, was ich google, und poste den getippten Text dann im Internet und man lesen kann, was ich für 1 bin: Ich komme von Google, ich komme vom Internet, ich komme von Dell KB212-B Quietkey usw.

Ich mache mich lustig, das tut mir nicht leid, aber ich denke nicht, dass jemand heute eine Schreibmaschine für das literarische Schreiben bevorzugt. Im Bachmannfilm regt sich Bachmann über das Geklopfe von Frisch auf; man nervt damit das ganze Umfeld (die beiden Arbeitszimmer von Alan und Alice Wake liegen direkt nebeneinander). Wenn du länger – keine Ahnung, drei Seiten? – auf einer mechanischen Schreibmaschine getippt hast, wirst du Schmerzen in den Fingern haben. Wer will sich so etwas antun? Ich weiß gar nicht, ob man zeitgenössische Literatur mit einer Schreibmaschine tippen kann. Man kann das sicher nicht immer erkennen, aber manchmal passt der Text damit zusammen, wie er geschrieben worden ist. Es passt zum Beispiel, wenn Handke mit der Hand schreibt und andere ihre Romane am Handy tippen. James Hetflied, sagt man, schreibt seine Texte mit Kugelschreiber: kannst du dir vorstellen, dass er your life burns faster / obey your master master mit einer Füllfeder oder mit dem Bleistift gezogen hat?

Ich halte es für hochpathetisch, den Schriftsteller als einen über die Schreibmaschine gebeugten Körper darzustellen. So stellen sich Leute Schriftsteller vor, die überhaupt nicht wissen, was ein Text ist. Vielleicht ist Alan Wake selbst so einer: Jemand, der sich nicht für den Text interessiert, sondern für Talkshows, in denen er wie das Arschloch, das er ist, über sich selbst reden kann mit einem Moderator, der sich nicht für die Antworten interessiert, für ein Publikum, das sich nicht für die Fragen interessiert. Sam Lake, once more, do the face for us, Sam. Die einzige Talk-Show, die ich ertrage, ist die Eric Andre Show, die ich allen ans Herz lege. Wenn Handke den armen Journalisten mit seinem Geschimpfe über Scheißdreck zum Teufel jagen will, dann ist er wenigstens ehrlich. Hey, honey, did you watch the show? I didn’t say anything stupid, if that’s what you want to know , sagt Alan Wake, der damit, vermute ich, nicht das sagt, was er sagen will.

Es ist, denke ich, schon klar, dass Alan Wake keine positive Figur ist: Er ist cholerisch, ungut zu Fans, haut den Paparazzi aufs Maul (Ich bin nicht hier für diesen Scheißdreck, um auf diesen Scheißdreck zu antworten, und jetzt verschwinden Sie sofort), ich weiß nicht einmal, ob er schreiben kann. Würde Alan Wake im Literaturhaus lesen oder bloß in der Buchhandlung? (In der Buchhandlung). Alan Wake gewinnt keinen Nobelpreis für Literatur, er würde auch kein Schreibstipendium bekommen und er würde nicht darum ansuchen. Den Urlaub nach Oregon oder Washington bezahlt er selbst oder er zahlt die eine Hälfte und seine Frau die andere.

Kurz bevor sich Alan Wake mit My name is Alan Wake. I’m a writer vorstellt, sagt er, wie man in Finnland wohl meint, dass sich US-amerikantische writers ausdrücken, Stephen King once wrote that „Nightmares exist outside of logic, and there’s little fun to be had in explanations; they’re antithetical to the poetry of fear“ . Ich denke zunächst, dass Alan Wake auch so eine Stephen-King-Figur sein soll oder sein könnte. Die Stephen-King-Figuren sind zum Beispiel auch oft writers und alkoholkrank und irgendwie kurz vor dem Ende. Ist Alan Wake alkoholsüchtig? Das wird angedeutet; er wacht einmal verkatert auf und muss sich wie Max Payne einmal Painkiller einwerfen bevor er usw. Writers, zumindest bei Stephen King, beschäftigen sich mit Alkohol. Aber hast du Shining gelesen, oder meinetwegen Doctor Sleep, oder Secret Window, Secret Garden oder Stark? (du kannst auch die Filme dazu anschauen, alle Bücher sind verfilmt worden und Secret Window und Stark sind Filme, die ich sehr mag). Alan Wake passt zu diesen Figuren nicht dazu: Er ist einsatzfähig. Er sagt irgendwann so etwas wie I never fired a gun until a few nights ago, aber ballert das ganze Spiel hindurch eigentlich ziemlich effizient. Ich mag auch Max Payne 3 sehr, und da ist es klar, dass Max Payne vollkommen am Ende ist; Alan Wake ist im Vergleich zu Max Payne im dritten Teil ein nüchterner Highperformer. Vielleicht täusche ich mich mit der Ähnlichkeit zwischen den Stephen-King-Figuren und Alan Wake. Ich stelle mir vor, dass ich in einem Computerspiel von Shining (dem Roman) zum Beispiel nicht die Kontrolle über Jack Torrance habe, wenn ich an einer Flasche mit Alkohol vorbeigehe. Wenn Jack Torrance eine Manuskriptseite findet, würde er vielleicht in Selbstzweifel versinken, weil er mit dem Text nicht zufrieden ist. Alan Wake ist, denke ich, nicht krank, sondern einfach ein Arsch. Er freut sich unkritisch über den geilen Text seiner Manuskriptseiten, die er findet, ohne so genau zu wissen, wie das eigentlich möglich ist. Was schreibt er in diesem Text, dem ungeschriebenen/geschriebenen Roman Departue? Der Text lautet wie folgt (in deutscher Übersetzung, damit der Stil ganz in your face kommt):

Der Mann wandte sich mir zu. Sein Gesicht lag im Schatten. Es war schwer, ihn in der Dunkelheit des Waldes zu erkennen. Die Axt, die er hochhob, war jedoch gut zu sehen. Auf ihr glitzerte das Blut seiner Opfer.

Er grinste irre. Die Schatten lebten und verzerrten sein Gesicht.

Eine Szene aus einem Albtraum, doch ich war hellwach.

Die deutsche Übersetzung ist unerträglich (auch teilweise falsch: der Text auf Manuskriptseite soundso He gasped: „Mr. Wake, it happened just the way it was on that page“, wird zum Beispiel übersetzt mit: Er keuchte: „Mr Wake, es ist so passiert wie auf der Seite“. Es passiert wie auf der Seite? Was soll das? (ich hoffe, du siehst das Problem: natürlich heißt en. page auf Deutsch Seite, aber man kann nicht sagen, etwas passiere so wie auf der Seite; man spannt keine Seite in die Schreibmaschine, man legt ein Blatt ein, und auf Deutsch geschieht nichts so wie auf der Seite oder wie am Blatt, sondern so wie geschrieben; du kannst sagen, oke, Wake hätte schon auf Englisch schreiben sollen, it happened just the way you wrote it oder just the way I read in on your page, aber tja …)). Ist das 1 Literatur, die jemand auf einer Schreibmaschine schreibt, und vom comic relief literary agent Barry als Bestseller verkauft werden kann?

Während ich Alan Wake spiele, lese ich einen Text von Ruth Herzberg, ihren Corona-Text, aber nicht die bei Mikrotext veröffentlichte Fassung, sondern die frühere Amazon-Self-Publishing-Fassung. Sie schreibt, „Die Schatten an der Wand ersetzen nichts“ (das Zitat steht nicht genau so im Buch, aber das Zitat ist, hoffe ich, ok, weil diese Fassung noch so viele Druckfehler enthält, was ich aber sehr sympathisch finde). Mir gefällt der Satz und ich denke, dass er auch zu Alan Wake passt. Ich verstehe damit nichts besser, und frage mich, was er ausdrückt, ob er irgendetwas ausdrückt. Die poetry of fear, hat Stephen King laut Wake einmal gewritten, bestehe outside of logic . Die Schatten an der Wand lösen sich in Alan Wake von der Wand, treten in den Raum und kommen auf mich zu, wollen mich umbringen, aber: sie ersetzen nichts. Sie stehen für nichts anderes als sich selbst. Ein Verständnis davon würde über die normale Logik hinausgehen. Die Kindersätze von Wake haben mit so einer Sprache nichts zu tun, er tippt einfach nur Nomen Verb Nomen Verb Nomen Verb ohne jeden poetischen Anspruch und ohne literarischen Anreiz.

Wenn ich sage, dass es lächerlich sei, wie der writer Alan Wake als Schreibmaschinenschriftsteller dargestellt wird, und den fehlenden „literarischen Anreiz” in den Manuskriptseiten, die ich mit Begeisterung im nächtlichen virtuellen Washington eingesammelt habe, kritisiere, mache ich mich vor allem selbst lächerlich. Was soll das? Es geht in Alan Wake doch nicht um Literatur, es geht um action horror oder survival horror, whatever. Handke schreibt Schwerer Sturm, die Bäume als Bauchtänzerinnen (Gestern Unterwegs, Seite 232) und Wake schreibt in den manuscript pages von Departue keinen einzigen Satz über Bäume oder den Wald (He told himself he’d b e okay, okay in the gloomy forest at night , falls das zählt, gloomy forest). Egal: Alan Wake ist kein Roman, sondern ein Spiel, zum Glück.

Es gibt sogar eine Erklärung für diese scheiß Schreibmaschine: Später wird sie als ein object of power bezeichnet, siehe etliche Aktenvermerke in Control. Quasi eine magische Schreibmaschine, bei der das getippte Wort Wirklichkeit wird, das ist schwer vorstellbar für einen Kugelschreiber oder eine Computertastatur. Aber stand die Schreibmaschine nicht auch schon im New Yorker Apartment der Wakes? Alice Wake hat doch einfach die Schreibmaschine von ihrem Mann in den Urlaub mitgenommen, oder? War sie auch früher schon ein object of power? Warum nicht? – Und ist es wirklich „schwer vorstellbar“, dass aus Text Wirklichkeit wird? Und dann ärgere ich mich doch wieder, dass Alan Wake als Spiel, zum Glück, Literatur nicht ernster nimmt.

Wenn Alan Wake ein Schriftsteller ist, dann müsste es für ihn doch nicht überraschend sein, wenn seine Worte Wirklichkeit werden, das ist, in gewisser Weise, sein Beruf. Wakes Texte sind fiktiv, d.h. als Erfindungen geschrieben, sie stehen nicht im Dienst der Wahrheit, sondern fabulieren eine Geschichte, die die Wirklichkeit imitiert. Und dann stellt sich aber heraus, dass die Texte doch wirklich sind, weil sie Wirklichkeit werden: The story I had written in the cabin had come true, schreibt er. Vom writer wird er zum poet, der etwas erschafft, die ποίησις von Alan Wake usw.: Worte mit einer Taschenlampe anleuchten und sie zeigen ihre Bedeutung. Aus „shoebox“ wird eine Schuhschachtel, oder – wenn ich es auf Deutsch formuliere – aus „Brücke“ wird eine Brücke.

Ich habe gar kein Problem damit, mir vorzustellen, dass Alan Wake das Federal Bureau of Control erfindet, indem er sich Jesse Faden ausdenkt und ich dann über dem Boden schwebe und auf den Hiss schieße, oder dass er 12 Jahre braucht, um Saga Anderson etc. auszuformulieren. Verfolgt man die Geschichte im Spiel aus Sicht des Autos oder einer Figur? Worin besteht der Unterschied? Vielleicht findet man eine Antwort darauf im rätselhaften Text Éléments de physiologie von Denis Diderot, der irgendwann zwischen den Jahren 1774 und 1784 eine Analogie zwischen Gehirn und Buch aufgestellt hat; das die etwas veraltete Version der Metapher vom Gehirn als Computer, in dem Sinneseindrücke und Erinnerungen gespeichert und verarbeitet werden. Wenn das Gehirn ein Speichermedium ist, wer liest es aus? Wenn Alan Wake ein Text ist, wer liest ihn? Diderot schreibt: „Nun gut: das ist das Buch. Wo aber ist der Leser?“ – und er antwortet: „Der Leser das ist das Buch selbst“ – noch schöner ist es im Französischen Original: „Voilà le livre. Mais où est le lecteur? Le lecteur c’est le livre même.“ Man landet von der ποίησις von Alan Wake bei der Autopoiesis. „The work will instruct its maker“, sagt der Janitor Ahti.

Nachtrag:

Genauso wie ich kein großes Interesse an Alan Wake hatte, habe ich kein großes Interesse an Alan Wake 2. Ich habe zum ersten Mal ein Gameplay-Video ganz angeschaut, alle vier Stunden (part 1) und war sehr gut unterhalten: Ich habe das Menügeklicke und die Szenen im mind place vorgespielt, viele der Schießereien, die ich beim Zuschauen langweilig fand, und habe mir sozusagen meinen eigenen Alan Wake 2 zusammengestellt: Ein Walking-Simulator mit schrägem Humor und Grusel. Ich freue mich darauf, die anderen Videos durchzuscrollen.

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Kurze Frage: Enthält der Text Spoiler zu dne oben genannten Spielen?

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Außer am Anfang des letzten Absatzes (der vor Nachtrag), nein.

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Ich hätte ja gesagt, ohne Spoiler, siehe Titel. Aber VfBFan hat schon recht mit dem Hinweis auf den Anfang des vorletzten Absatzes … ist ausgeblendet. Vielen Dank!

Die Ausführungen zum Wald hätten auch sehr gut zur LGS Folge „Bester Wald“ gepasst. :slight_smile:

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