Activision-Blizzard versteht das eigene Diversity Tool nicht

Ich will es nochmal versuchen. Wichtig für das Verstehen der Argumentation ist Kenntnis von dem Konzept des Skalenniveaus. Bei Wiki bitte kurz reinklicken.

Ich kann zwar die Behauptung aufstellen, dass eine Zahl, die ich zuweise keine Bedeutung habe oder dass sie nicht zu interpretieren sei. Dabei stoße ich aber auch zwei Konflikte: der erste ist die Frage, warum dann überhaupt Zahlen eingeführt werden. Es kann zwar sein, dass eine Datenbank mit Index-Werten arbeitet, aber die müsste ich User*innen nicht zugänglich machen. Vorstellbar wäre ein Tool, das ohne Zahlen arbeitet und nur Qualitäten erfasst. Das Skalenniveau von Qualitäten bzw. kategorialen Werten wie zum Beispiel „Kultur“ ist nominal. Mathematisch bedeutet das, dass ich Werte auf dieser Skala nur danach beurteilen kann, ob sie gleich oder verschieden sind. Ich kann dann für jeden einzelnen Wert auszählen wie oft er in einer Datenreihe vorkommt.

Der zweite noch größere Konflikt folgt aus dem eigentlichen Skalennivau (nominal) der Daten. Wir sind uns ja einig, dass sie inhaltlich eigentlich nicht „quantifizierbar“ sind. Oder in Begriffen von Skalenniveaus: Ihr Skalenniveau übersteigt nicht das Nominalniveau. Ich kann also nie sagen, dass eine Kategorie größer oder kleiner ist als eine andere. Ich kann ihre Werte nicht zusammenrechnen und ich kann auch keinen Mittelwert aus ihnen bilden. All das wären unzulässige Operationen für kategoriale Daten mit einem nominalen Skalenniveau.
Das Tool funktioniert hingegen auf dem Skalennivau der Ordinalskala. Das erkennt man deutlich an der Darstellung des Diagramms. Der Wert in einer Kategorie ist weiter vom Zentrum entfernt je größer er ist. Wie bei einem Balkendiagramm bedeutet ein Punkt weiter oben auf der Achse, dass der Wert größer ist als ein Punkt weter unten auf der Achse. Daraus folgt auch, dass die Fläche zwischen Zentrum und Punkt je Kategorie größer wird, je weiter er vom Zentrum entfernt ist. Die Visualisierung der Daten arbeitet also auf dem Skalenniveau mindestens einer Ordinalskala und kann auch nur so interpretiert werden. Die Visualisierung wäre hingegen nicht interpretierbar und sogar völlig sinnlos, wenn die Daten nicht mindestens auf Ordinalnivea sind.

Es ist egal, was jemand über das Tool oder die Daten behauptet. So wie das Tool funktioniert und visualisiert, behandelt es die Daten mindestens auf Ordinalniveau. Daraus folgt, dass Zahlen mindestens als Rangfolge interpretiert werden, weil sonst weder die Diagramme noch die Mittelwerte möglich oder interpretierbar wären.

Das gilt unabhängig davon, ob ich jetzt zu Quantifizierung neige oder nicht. Aber psychologisch gilt das darüber hinaus auch: wenn wir die Flächen im Diagramm betrachten, nehmen wir unmittelbar wahr, welche Flächen größer und welcher kleiner sind. Wir arbeiten beim Lesen der Grafik auf Ordinalniveau. Und wenn man das nicht will, müsste man die Daten anders behandeln (auf Nominalniveau).

5 „Gefällt mir“

Danke, dass du dir nochmal diese große Mühe gemacht hast dich mit mir auseinanderzusetzen. Mir ist dadurch nun einiges klarer geworden und ich erkenne einige meiner Fehleinschätzungen.

Deine Erläuterungen habe ich zusammen mit dem Diagrammbild aus dem Artikel nochmal auf mich wirken lassen und verstehe nun, warum die Analysezahlen schwachsinnig sind. Ich werde das in meinem ersten Post entsprechend vermerken.

3 „Gefällt mir“

Mich wundert die Stoßrichtung der Kritik. Quantifizierung, „allzu gegenwärtige Verwertungslogik“, „merkantiles Denken“ und Ähnliches sollen die Wurzel des Übels sein. Glaube ich nicht. Im Grunde bin ich dankbar, dass die rechnende Software des Tools und die Diagramme, die die ganze Rechnerei abbilden, tatsächlich genau das Denken hinter dem Tool sichtbar gemacht haben. Zitat: „Ägyptischer Hintergrund? Sieben von zehn. Heterosexualität gibt überhaupt keine Punkte.“

So siehts doch aus und wird durch die vielen hübschen Seifenblasen (kultur- und sozial)wissenschaftlicher Belesenheit, die da im Artikel aufsteigen, eher verdeckt als benannt: Das, was wir politisch korrektes Denken nennen, erschöpft sich, zumindest in einer sehr starken, vielleicht sogar vorherrschenden Tendenz darin, schlicht die vorhandenen Denk- und Wertungsmuster umzukehren. Wer zuvor in der sozialen Wertungsskala unten (oder in einem Denkmuster von „zentral“ und „peripher“ an der Peripherie) war, kommt jetzt nach oben und wer sich vorher über einen Logenplatz der gesellschaftlichen Wertung und Anerkennung (weiß, männlich heterosexuell, normschön, unbehindert usw.) freuen durfte, muss jetzt draußen warten, weil jetzt genau die anderen zuerst dran sind. („Umwertung aller Werte“ nach Nietzsche, weil ich hier auch mal eine rhetorische Seifenblase pusten will.)

Dabei wäre Diversity - als wirklich realistische Repräsentation der einzelnen Teile sozialer Wirklichkeit und sozialer Mischung - so ein schönes Ziel. Solange sie aber missverstanden wird als bloßes invertiertes Spiegelbild der realen Verhältnisse (so in etwa:
![Invertierte Farben|620x497](upload://iJpnB3h9mjuYJfMkHdOOvJvTQkv.png, übrigens eine Prunkwinde)

so lange werden wir (beispielsweise) auf der einen Seite mit einer DB-Werbung leben müssen, in der Afrodeutsche plötzlich überraschenderweise die Mehrheit der Fahrgäste stellen, und auf der anderen Seite einer Wirklichkeit, in der (beispielsweise) Menschen mit nicht-weißen Hautfarben weiterhin vor allem die unteren Ränge der Skala und die peripheren Orte der Wahrnehmung und Repräsentation besetzen.

„Divers“ ist aber weder das eine noch das andere.

Eine sehr interessante Diskussion. Ich tendiere zu einer Kompromiss-Interpretation: Die Zahlen stellen eine Abweichung vom angeblichen Ideal dar, wie es in westlichen Medien präsentiert wird und in vielen Köpfen verankert ist. Man kann diese Abweichung durchaus versuchen zu quantifizieren, Abstände zu messen und eine Reihenfolge zu bilden (im Sinne von: Welcher Charakter weicht stärker vom angeblichen Ideal ab?). Das wird auch z. B. beim Intelligenzquotienten so gemacht.

Wir sollten den Zahlen allerdings keine Bewertung beimessen: Eine höhere Zahl heisst nicht „besser“ – weder bei der Intelligenz noch beim Geschlecht, der sexuellen Orientierung oder der Körpergrösse. Der Autor des Artikels schreibt, dass Heterosexualität keine Punkte gebe. Ich sehe aber bei dem Tool nirgends ein Anzeichen dafür, dass die Zahlen mit Punkten gleichzusetzen sind, die eine Bewertung indizieren würden.

Zahlen sind mathematisch geeignet, um Abstände zu messen und eine Reihenfolge zu bilden. Eine höhere Zahl als besser zu verstehen, ist aber eine aussermathematische Interpretation und bei diesem Tool nicht sinnvoll.

Über das bin ich auch gestolpert. Mein Denkapparat hat bei Betrachtung des Tools und seinen Zahlen auch nicht darauf eingerastet, dass hohe Zahlen besser seien als niedrige, weswegen für mich die Zahlen und die Visualisierung auch zunächst unproblematisch wirkten. Referenzierung per Zahl ist stinknormale Informatik. Allerdings ist der im Tool beschrittene Weg, die Zahlen darüber hinaus weiter zu verwerten, sei es in der Art der Visualisierung, aber vor allem in der Analyse, methodisch falsch.

Allgemein wird eher in „mehr ist besser“ gedacht. Dem muss bei den Nutzer:innen des Tools durch weitere Maßnahmen entgegen gewirkt werden, um das Bewußtsein zu schärfen (das träfe vermutlich auf die gesamte Menschheit mehr oder weniger zu). Das war den Beteiligten anscheinend durchaus klar, sollte aber wohl hauptsächlich durch das Zahlenwerk erledigt werden, weil solche Maßnahmen aufwendig und langwierig sind. Wie @Gamepsychologe schon irgendwo anmerkte, wäre ein Tool denkbar, in dem rein die Qualitäten ermittelt und dargestellt werden – ohne Anzeige von Zahlen und somit in diesem Kontext korrekt, da es nicht das quantifizierende Denken anregt. Wie auch immer das Tool aussehen könnte, um am Ende noch hilfreiche Einschätzungen zu ermöglichen. Klar ist, dass auch das weitere Maßnahmen nicht plötzlich überflüssig machen würde.

Ein weiteres Problem ist, dass der Analyseansatz des Tools falsch daherkommt, soweit man es vom Zahlenwerk im Draufblick ablesen kann. Für klassifizierte Kategorien jeweils Werte für Gender, Culture, Race, Body Type, etc. zu berechnen (anscheinend ein Durchschnittswert), ist unmöglich und schwachsinnig zugleich und sagt daher nichts aus. Kategorale Werte können nicht miteinander verrechnet werden, da sie keine Menge darstellen, oder fachmännisch, wie ich gelernt habe, das Skalenniveau nominal ist. Deren Häufigkeiten könnte man betrachten, das wird aber anscheinend so nicht getan. Ursprünglich dachte ich, es wäre etwas in der Richtung und damit brauchbar, ist es aber nicht.

Also wird hier der positive Ansatz der Grundidee die Diversität transparent zu machen, mit einer methodisch falschen Implementierung komplett torpediert. Eine sachliche Kritik an der Umsetzung des Tools halte ich nach meinem jetzigen Kenntnisstand für berechtigt, aber etwaige Annahmen, die Tool-Entwickler:innen fanden es völlig unreflektiert total super, menschliche Eigenschaften per Zahlen zu messen um sie dann als mehr oder weniger wert zu beurteilen, halte ich weiterhin für etwas zu weit gegriffen. Dass es Zahlen gibt, wofür es besser keine gäbe, und diese auch noch falsch verwertet werden, darf und muss kritisiert werden. Man muss aber nicht gleich üble Absichten unterstellen, wo auch Unfähigkeit als Erklärung ausreicht, nur weil es die negative Sensation befeuert.

1 „Gefällt mir“

Wow

So langsam…

  1. „Rasse“ ?! wohl in der schule nicht aufgepasst ;

Es gibt keine „Rasse“ mehr …es gab mal ca 37 ?! Humanoide Rassen auf dem Planeten Erde, die letzte ist wohl vo ca 17.000 Jahren ausgestorben - seitdem gibt es nur noch eine Rasse !! Homo Sapien, höchst anpassungsfähig, hochgradig kompatibel, diverse Blutgruppen, mutationsfreudig, bunte Augenfarbe, Haare, Hautfarbe, usw - kannste in die Arktis versetzen oder in die Wüste, passt sich schon an^^

  1. Alles mal wieder!! in Zahlen pressen… Echt übel, wir sind Menschen, als wenn sich alles auf son paar Schubladen runterbrechen lässt.

  2. Fucking Nazis vom Mond^^ ; Denn Schädel vermessen und dann davon ableiten wie gut ein Mensch ist, ham die auch schon gemacht - und jetz wie schön im Beitrag erwähnt wurde, ist ein Koreanischer Hintergrund mehr Wert als ein Ägyptischer ?! wtffff ?!

fällt einem nix mehr zu ein…also schon, aber dann schreib ich hier noch 3 Tage und 3 Nächte…

Sollten die ganz sang und Klanglos „vernichten“, löschen, entfernen - dickes „Sorry“ drunterschreiben und abhaken, bzw als negativ Beispiel für total aus dem Ruder gelaufenen Experiment nutzen.

Ich finde, es fasst diese menschenverachtende Ideologie, die unter anderem Blizzard verfolgt, genial zusammen. „Der weiße, heterosexuelle Mann aus westlichen Ländern wird einfach mal als der Durchschnitt, die Mitte und die Norm definiert, und je weiter man sich von dieser Norm wegbewegt, desto besser und desto ‚diverser‘. Und desto besser hoffentlich auch das Spiel, denn ich habe Gerüchte gehört, wir produzieren Spiele.“

Vielen aus der amerikanischen Spielepresse, die das hier kritisieren, schmeckt nur nicht, diesen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Dabei machen sie schon seit Jahren nichts anderes, als Charaktere als auch echte Menschen nach exakt diesem Muster zu bewerten und diese Art Story-Design einzufordern.
Man kann sich halt nur schwer hinter seinen „hehren Zielen“ verstecken, wenn dieses Weltbild auf kalte Zahlen und Graphen heruntergedampft wird, und die Schwächen dieser Denkweise so offensichtlich sind.

Das hier ist kein Blizzard-Problem. Das ist nichts anderes als die Tokenism-Checkliste, welche so ziemlich alle großen amerikanischen Film/Spiele-Firmen stumpf abarbeiten, um ihren ESG-Score aufzubessern und damit Investoren anzulocken. Mit hehren Zielen hat das gar nichts zu tun, sondern mit Geld und PR.

Schon Novalis hat diesen Artikel im Jahr 1800 kommentiert:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
(Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren – Wikipedia)

2 „Gefällt mir“

Willkommen im Forum @Warumauchnicht!

Ich sehe, dass diese Befürchtung im Raum steht. Aber die muss sich natürlich auch an Tatsachen messen und kann nicht selbst zum Maßstab werden. Da sieht es so aus: Es erscheinen noch immer mehr Spiele mit männlichen und weißen Hauptfiguren als mit anderen, da muss also niemand draußen warten. Es gibt also keine Invertierung der Verhältnisse und die Idee, dass jemand (wer?) so etwas herstellen möchte, wirkt auf mich auch weit hergeholt.

1 „Gefällt mir“

Der Fairness halber muss man hier feststellen, dass der Gebrauch des Wortes ‚race‘ insbesondere im US-amerikanischen Sprachgebrauch Alltag ist und einfach viel unkritischer verwendet wird. Der 'Rasse’diskurs ist dort ganz anders verlaufen, die Bedeutung des Wortes ist schon im Prinzip ähnlich, man unterscheidet Caucasians, Blacks und Hispanics, etc. Die Feststellung, dass es keine Menschenrassen gibt, würden amerikanische Wissenschaftler auch unterschreiben, es wird aber dennoch verwendet, um menschliche Phänotypen zu unterscheiden. Wenn man das aus deutschsprachiger Perspektive wahrnimmt, rollen sich da schon die Zehennägel auf, Tatsache ist aber, dass nicht jeder englischsprachige Mensch, der von ‚race‘ spricht, das zwangsläufig rassistisch meint. Komisch, is aber so.

5 „Gefällt mir“

Immerhin: Vielleicht stößt das Abstoßende daran ja wieder eine Diskussion an und führt damit - über Umwege - wieder zum Diskurs zurück. Das wäre doch fein! Top Beitrag, Benjamin!

5 „Gefällt mir“

Danke, Nora! :slight_smile: Dein erster Beitrag im Forum? Welcome!

3 „Gefällt mir“

Jup. Premiere :nerd_face:

1 „Gefällt mir“

Erst einmal danke für den Beitrag, insbesondere auch für die weiterführenden Links, da diese ungemein für ein tieferes Verständnis helfen!

Dennoch bin ich der Meinung, dass das Tool generell ziemlich missverstanden wird, hauptsächlich wie die Skalen zu deuten sind, und wie mit dem Tool umzugehen ist.

Um ein besseres Verständnis für die Skalen aufzubauen, ein kleines Beispiel:
Nehmen wir mal alle deutschen Städte her. Wie Gamepsychologe es oben bereits richtig beschrieben hat, handelt es sich bei den Städten offensichtlich um nominale Daten, welche inhärent keine Werte besitzen. Um die Daten jetzt aber auf eine ordinalen Skala anordnen zu können, kann ich zu den Städten passenden quantifizierbaren Daten untersuchen, und die Städte entsprechend diesen Daten sortieren.

Beispielsweise könnte ich jetzt eine Stadt X hernehmen, und die Städte anhand ihrer Distanz zur Stadt X sortieren, und teile sie dabei in die Skalenwerte 0-10 ein. Wert 0 ist Stadt X, meine „Norm“. Wert 1 enthält entsprechend alle Städte, die sehr nah dran sind, Wert 10 alle, die sehr weit weg sind. Jetzt kann meinetwegen Frankfurt den Wert 2 bekommen, Hamburg den Wert 8. Frage: kann ich anhand der Werte irgendwelche qualitativen aussagen über die Städte treffen? Kann ich sagen, dass Hamburg besser ist, weil Hamburg einen höheren Wert hat? Nein, das wäre absurd.
Wenn ich aber die Sortierung habe, kann ich aber interessante Fragestellungen daraus ableiten. Zum Beispiel könnte ich folgendes fragen: wenn ich in Stadt X lebe, welche Städte mit welchen Wert wären für mich interessant, wenn ich einkaufen gehen will. Oder welche, wenn ich in den Urlaub fahre? Im ersten Fall wäre wohl eine Stadt mit möglichst niedrigen Wert gut, im zweiten Fall vielleicht ist aber eher eine Stadt mit einem hohen Wert interessant. Was „gut“ und was „schlecht“ ist, ergibt sich aus der Fragestellung, nicht aus den Werten. Insbesondere sind dies aber auch nur Indizien für geeignete Städte. Z.B. habe ich keine Aussage darüber, ob im Fall des Einkaufens in einer Stadt mit dem Wert 1 überhaupt ein Laden mit der gesuchten Wahre existiert. Ich kann also den Werten nicht blind vertrauen, ich muss trotzdem genau hinschauen. Trotzdem ist die Skala hilfreich, weil durch sie vorsortiert werden kann.
Eine andere Konsequenz aus der Wahl der Einteilung, ist, dass sie vornehmlich von der Wahl der Norm abhängt. Für jemand aus der Stadt Y trifft sie keine brauchbaren Aussagen. Entsprechend muss Stadt Y als „Norm“ gewählt werden, wodurch sich selbstverständlich auch die Wertigkeiten wieder ändern.

Puh, kurz zusammengefasst ergibt sich aus dem Beispiel:

  1. Man kann nominale Daten anordnen, in dem sie mit weiteren quantifizierbaren Daten versieht.
  2. Die Anordnung hat inhärent keine qualitative Aussage. Dies ergibt sich erst aus der Fragestellung, und ist auch von dieser abhängig.
  3. Die qualitative Aussage ist kein Absolutum, sondern ein Indiz. Eine genauere Untersuchung ist daher wichtig.
  4. Skalen können von Referenzwerten, oder „Normen“, abhängen. Diese müssen pro Fall untersucht werden und müssen gegebenenfalls angepasst werden.

Ok, schauen wir uns jetzt endlich mal die Skalen des Diversity-Tools an. Dort werden nominale Daten ähnlich mit einem Wert quantifiziert. Was gibt der Wert an? Nun, da lohnt sich ein Blick in das GDC-Video, insbesondere der Teil wo die „Ethnicity“ von Lucio diskutiert wird (ca. Minute 12). Ich zitiere da mal die Kristin Adolfsson:

Ethnicity, he is black, so I put it quite far out, it is not that common. And it is not the scale from white to black. But caucasian people are most common, and asians are more common than lets say Indans.

Kurze Anmerkung zur Klarstellung: Das „common“ bezieht sich nicht Bevölkerungsgruppen, sondern darauf, wie häufig diese in Spielen aus dem westlichen Kulturkreis repräsentiert werden.

Auch bei allen anderen Kategorien und Charakteren wird durchgängig mit „Häufigkeit“ argumentiert. Dementsprechend gehe ich auch stark davon aus, dass die Sortierung im Tool einer Sortierung nach Häufigkeit entspricht. Der Wert 0 repräsentiert das Attribut in einer Kategorie, welches am häufigsten vorkommt, 10 am seltensten. Wenn jetzt im Tool dem Herkunftsland Arabien nun der Wert 7 zugewiesen wird, heißt das nichts anderes, als dass Personen aus diesem Land eher selten in Spielen aus dem westlichen Kulturkreis erscheinen.
Ob jetzt 7 gut oder schlecht ist, ergibt sich aus der Zielstellung. In dem Fall geht es ja darum, Diversität zu fördern. In dem Fall sind hohe Werte eher „gut“, da wenn mehr Charaktere mit seltenen Attributen erstellt werden, wird auch die Diversität erhöht.

Und klar, da gibt es einige Pitfalls, und man muss schon aufpassen, wie man was interpretiert, und welche Schlüsse man zieht. Ich kann da insbesondere den Diskussion-Teil des Papers empfehlen. Deswegen wird aber auch überall darauf verwiesen, dass die Werte, die da stehen nicht das Endergebnis ist, sondern nur als Teil einer größeren Diskussion zu verwenden ist. Zitat aus dem Activisionblizzard Artikel:

The tool isn’t meant to be used in isolation; teams would sit down with company DE&I staff to identify existing norms and then discuss, educate, consult, and collaborate on how a character’s representation is expressed beyond those norms. This process is intended to create a conversation where our developers, assisted by the tool, challenge assumptions, assess choices, and find opportunities for authentic representation to be fostered in our games.

Ist das Tool frei von Kritik? Sicher nicht, aber ich denke es ist nicht, dass es ansatzweise so schlecht es, wie es medial zur Zeit kritisiert wird.

1 „Gefällt mir“

Um auch mal ein paar Beispiele zu nennen, wie das Tool eingesetzt werden könnte, um die Diskussion bezüglich Diversity voran zu bringen:

Ich weiß nicht wie divers die Charakter-Designer von Overwatch sind, aber ich denke man kann mit Sicherheit sagen, dass diese viel Wert auf Diversity legen. Dennoch gibt es einige Trends, die man mit dem Tool sehr gut sichtbar machen kann.

Sieht man sich zum Beispiel die Grafik der Support-Charaktere an, so haben die meisten ziemlich hohe Werte bezüglich der Griüüe"Spielecharaktere aus dem westlichen Kulturkreis". Wenn wir jetzt aber mal die Gruppe abändern in „Support-Charaktere des Spieles Overwatch“, sieht man recht deutlich, das 5 von 6 Charaktere weiblich sind, und sich somit auch die Norm abändert. Bezüglich dieser neuer norm erhalten diese dann den Wert „0“ statt „5“. Das führt dann unverweigelich zu der Frage, warum dies so ist, und ob da nicht ein versteckter Bias bezüglich dem Rollenmodell der Frau eine Rolle spielt. Die könnte man auch mit anderen Rollen machen, und schauen ob sich weitere Biase herauskristallisieren.

Ein weiteres Beispiel ist die Analyse von Tobjörn. Er hat sehr hohe Werte bezüglich Alter, Body-Type, Ability gegenüber der gegeben Norm bekommen. Betrachten wir den Character bezüglich der Norm der Gruppe „Zwerge“, dann sind diese aber aus meinen Augen wiederum sehr niedrig, da alte, kleine, techno-Zwerge nicht so unüblich sind. Damit stellt sich die Frage, ob dieser Character wirklich gut ist, um übliche Normen zu brechen, oder ob dieser nicht eher ein Stereotyp ist.

Auf beide Beispiele liefert das Tool keine konkrete Antwort, aber es liefert indizien, die in einer größeren Diskussion verarbeitet werden können.

In etwa so wurde die ursprüngliche Methode in Workshops verwendet. Sie sollte dort Ausgangspunkt sein, um über Stereotype zu refelktieren, die offensichtlich davon nicht erfasst werden können.

Richtig, und genau so soll ja auch das digitale Tool verwendet werden. Die Methode wird ja übernommen, einzig der Moderator des Workshops fehlt. Deswegen sehe ich den Konflikt da nicht.

Im Gegenteil: die Existenz des digitalen Tools bedeutet ja nicht, dass Workshops um die Methode nicht mehr statt finden müssen. Das digitale Tool kann genau so wie die Pen-and-Paper Methode in Workshops zum Einsatz kommen. Aus Feedback der Workshops kann dann somit auch das Tool verbessert werden. Das ergänzt sich wunderbar.

Activision-Blizzard ist vom Vorübergehen der Zahlen so wild geworden, dass sie hinter tausend Zahlen keine Menschen sehen.

Ich erkenne doch meinen Rilke, wenn ich ihn sehe… (Der Panther – Wikipedia)
Danke für den tollen Text!

5 „Gefällt mir“

Oh, das freut mich sehr! Vielleicht haben andere es auch bemerkt, aber ich glaube du bist die erste Person, die es schreibt! :smiley:

Ich lasse das mal hier…

1 „Gefällt mir“